Sommermusiken in adretten kleinen Dorfkirchen sind nichts Revolutionäres. Konzertreihen, die sich über mehrere Abende erstrecken, natürlich auch nicht. Aber das Projekt „Klang-Karussell“, angelegt als Sommeradventskalender mit 24 (Kirchen-)türen vom 1.-24. Juni war in seiner Dimension schon recht ungewöhnlich.
Seit über zehn Jahren schon gehören zu meinem Kantoratsbereich knapp zwei Dutzend Kirchen; zwei in der Stadt und 20 auf den umliegenden Dörfern. 2023 war nun der „kairos“ gekommen: Corona- und Energiekrise waren einigermaßen verdaut, im Zeitfenster vom 1.-24. Juni lag weder das Pfingstwochenende noch der Sommerferienbeginn. Andere musikalische Großprojekte waren auch nicht akut. Und so gab es jeden Abend ein sommerliches Kurzkonzert in einer unsrer Kirchen mit (fast) ausschließlich regionalen Kräften. In der Stadt sind Kantorei, Gospelchor und ein Posaunenchor ansässig und auf den umliegenden Dörfern zwei weitere Posaunenchöre, ein Frauenchor, sowie zwei nichtkirchliche Chöre. Dazu kamen noch Schüler und Ensembles von zwei Musikschulen und ein Kammermusiktrio als Gast und Höhepunkt zwischendrin.
Insgesamt scharten sich um die 150 Musiker fast 1.200 Besucher, einige kamen natürlich auch mehrfach. Bei einer Kirchenmitgliederzahl von ca. 2.500 in der Region, ein erfreulicher Erfolg. Entsprechend war fast jeden Abend das Kirchenschiff gut gefüllt. Das war zwar nicht das vorrangige Ziel, aber Musik ist eben ein bewährter „Türöffner“. Das Hauptaugenmerk hingegen lag auf der Gemeinschaft und dem gegenseitigen Besuchen und Wahrnehmen sowohl bei Hörern als auch bei den Musikern.
Dafür hatte ich in der Planung einige Parameter voreingestellt:
Keiner der beteiligten Chöre und Bläser konzertierte im Heimatort (da sind ja oft genug), sondern in einer Kirche, wo sie noch nie oder lange nicht waren. Das hatte zur Folge, dass bei jedem Konzert entweder ein paar Besucher oder auch viele der Chorsänger/Bläser zum ersten Mal in ihrem Leben in dieser Dorfkirche waren. Zu Beginn jedes Konzertprogramms gab es daher neben der Begrüßung durch einen der Gemeindekirchenräte (nicht Kantor oder Pfarrer/Pastorin!) die Chance ihre Kirche kurz vorzustellen. Das war in aller Unterschiedlichkeit sehr bereichernd! Ob länglicher historischer Vortrag oder einzelne Anekdoten, ob forsch oder schüchtern, alle servierten ein kleines Stück Heimatgeschichte nach Art des Hauses und präsentierten ihre zu Stein und Holz geronnenen Glaubensschätze. Wichtiger Aha-Effekt dabei für Gäste, Musiker und auch die Ortsgemeinde: Jedes Kirchengemäuer hat auch ein lokales Gesicht. Die Menschen vor Ort, denen ihr Kirchlein lieb und teuer ist, wurden wahr- und ernstgenommen als Gastgeber.
In jedem Ort war außerdem nicht nur Chor- und Bläsermusik zu hören, sondern auch ein Orgelstück als dem maßgeschneiderten und nicht mitgebrachten Charakterklang des Kirchenraums. Dem Zustand der Dorforgeln in Ostthüringen gemäß war es natürlich hie und da auch elektronischer Orgelklang oder mal ein Klavierstück. Der Aufwand alle Orgelschüler und Dorforganisten mit einzubeziehen hatte sich ebenfalls als bereichernd ausgezahlt.
Die Individualität der einzelnen Gemeinden zeigte sich auch bei der Bewirtung im Nachklang oder dem Überreichen von Dankeschön-Präsenten. Von kleiner Erdbeerbowle bis zünftigem Grillabend, von Honigglas des Dorfimkers für jeden Bläser bis zum schlichtem Lächeln beim Applaus war die Bandbreite erwartbar groß. Wichtige Botschaft bei den Vorabsprachen war immer: Glockenläuten, Licht anmachen und Begrüßung müsste schon sein, aber alles andere nur soweit die Kräfte reichen. Wie bei Hauptamtlichen ist ja auch bei Ehrenamtlichen Mitarbeitern von Hochmotiviert bis Ausgelaugt alles dabei.
Bei aller Einzigartigkeit und Besonderheit der 24 Konzertorte gab es natürlich auch verbindende Elemente. Die (vorhersehbare) Idee aus dem Vorbereitungsteam ein gemeinsames Lied an allen 24 Abenden zu installieren, habe ich nicht weiterverfolgt. Das musikalische Profil der 24 Abende war einfach zu unterschiedlich. Stattdessen habe ich jeden Abend ein „Souvenir“ in Form eines Schlüsselanhängers überreicht, bei dem ich auf der Rückseite das Pauluswort „Ihr seid der Leib Christi und jeder Einzelne von euch ist ein Teil dieses Leibes“ (1. Kor. 12,27) unterbringen konnte. Als spielerische Auflockerung hatte ich entsprechend dem Bibelvers das Plakatmotiv als Puzzle anfertigen lassen, was ebenfalls durch alle Orte wanderte. Jeden Abend wurde vom Gemeindekirchenratsmitglied, das die Begrüßung gesprochen hatte, live und symbolisch ein Puzzleteil eingefügt. So konnten wir das ZusammenWachsen unserer Kirchgemeinden sehr schön mitverfolgen. Außerdem wanderte ein Abschlussgebet durch alle Orte. So waren wir nicht nur durch schöne Musik, sondern eben auch durch ein 24-teilige Kette von täglichem Abendgebet-mit-Vaterunser verbunden.
Die Konzerte waren bewusst auf 45-60 Minuten begrenzt, sodass es bei zumeist bestem Sommerwetter danach auch viel Gelegenheit für Begegnung und Gespräche gab. In ungeahnter Fülle sind dabei Kontakte entstanden, vertieft worden oder nach Jahrzehnten wieder aufgenommen worden, deren Segen noch lange nachklingt.
Nicht nur Werbung, Eintreiben von ein paar Fördermitteln, GEMA-Meldung etc. waren eine Herausforderung wegen der schieren Masse an Konzerten, sondern auch das komplexe „Termin-Sudoku“: Was tun, wenn alle Anfang Juni oder alle einen Samstag oder keiner den 16. haben will? Was tun, wenn gefühlt alle den Gospelchor haben wollen, aber kaum einer den Frauenchor?
Kurzum: Das sorgfältige Ausbalancieren von individuellen Wünschen und gemeinsamem roten Faden bei Gastgebern und Mitwirkenden war wie befürchtet sehr aufwändig aber auch sehr bereichernd. In den gut 11 Monaten der Vorbereitung hatte ich so viel Kontakt zu meinen Dorfgemeinden, Pfarrern und Mitmusikern, wie noch nie.
PHILIPP POPP, im Sommer 2023